Shannon Chakraborty: Die Abenteuer der Piratin Amina al-Sirafi [Rezension]

Cover © Panini

Buchinformationen

TitelDie Abenteuer der Piratin Amina al-Sirafi
Band1 von 3
AutorShannon Chakraborty
VerlagPanini
ÜbersetzungKerstin Fricke
ISBN978-3-8332-4396-7
Seitenzahl576
GenreHistorische Fantasy, Oriental Fantasy
Bewertung4,5 von 5 Sterne

Klappentext

Amina al-Sirafi könnte kaum zufriedener mit sich und ihrer Welt sein. Nach ihrer beeindruckenden Karriere als berüchtigtste Piratin des Indischen Ozeans, in deren Verlauf sie hinterhältige Schurken, rachsüchtige Handelsherren, mehrere Ehemänner und einen echten Dämon überlebt hat, steuert sie nun auf ruhigeres Fahrwasser zu. Abseits von Blut und Tod. Und vor allem abseits des Übernatürlichen. Doch dann erhält sie ein Angebot, das kein echter Freibeuter guten Gewissens ablehnen kann: Für eine fürstliche Belohnung soll Amina die entführte Tochter eines Kameraden zurückbringen. Die Aussicht auf ein letztes Abenteuer mit ihrer Crew und auf mehr Reichtum, als sie sich je hätte träumen lassen, lässt sie noch einmal den Anker lichten. Doch schon bald muss sich Amina fragen, ob dieses letzte Abenteuer seinen Preis wert ist. Vor allem, wenn dieser Preis ihre eigene Seele sein könnte.

Meine Meinung

Schon beim Titel „Die Abenteuer der Piratin Amina Al-Sirafi“ hat man unweigerlich ein bestimmtes Bild im Kopf: eine junge, unerschrockene Heldin, vielleicht gerade einmal Anfang zwanzig, bereit, mit frischem Elan in See zu stechen und sich waghalsigen Abenteuern zu stellen. Doch genau hier überrascht der Roman auf grandiose Weise – denn Shannon Chakraborty liefert etwas völlig anderes, weit Reiferes und vor allem Originelleres. Statt einer strahlenden Nachwuchspiratin tritt uns eine Frau entgegen, die bereits ein intensives Leben hinter sich hat. Amina ist über 40, körperlich nicht mehr unverwüstlich und, ja, sie ist sogar Mutter. Diese Perspektive ist in der Fantasy nahezu ein Einhorn – und verleiht der Geschichte von Anfang an eine Tiefe, die man so nicht erwartet.

Gerade Aminas Alter und ihre familiäre Situation verändern den Blick auf jedes Abenteuer, jede Entscheidung, jeden moralischen Konflikt, den sie durchlebt. Sie ist keine Heldin, die erst noch herausfinden muss, wer sie sein möchte – sie weiß es längst, und genau das macht ihre Reise so faszinierend. Amina trägt ein ganzes Bündel aus Erfahrungen, Erfolgen und Fehlern mit sich herum, und diese Vergangenheit holt sie mit jeder Wendung der Handlung wieder ein. Während andere Fantasyprotagonistinnen sich unbeschwert in Gefahr stürzen, muss Amina stets abwägen: Welche Risiken kann sie eingehen, wenn zu Hause ein Kind auf sie wartet? Welche Schuldgefühle bringt sie mit, welche alten Verbündeten oder Feinde verfolgen sie noch? Diese Verantwortung für eine Zukunft, die nicht nur ihr allein gehört, verleiht der Erzählung vom ersten Moment an eine spürbare Erdung. Statt Coming-of-Age gibt es ein „Living-with-the-past“ – eine Geschichte, die nicht von jugendlicher Unverwüstlichkeit lebt, sondern von erwachsener Besonnenheit, geformt durch ein Leben voller Kompromisse, Verluste und hart erkämpfter Siege. Dadurch entstehen emotionale Tiefen, die man in klassischer Abenteuerfantasy selten findet. Amina kämpft nicht um ihren Platz in der Welt, sondern darum, den Preis ihrer Entscheidungen zu tragen und gleichzeitig das Richtige zu tun. Chakraborty behandelt diese Themen mit einer souveränen Mischung aus Humor und Ernsthaftigkeit: Mal lässt sie Amina selbstironisch über Knieschmerzen schimpfen, mal hält sie inne und zeigt die geballte Last eines Lebens voller Risiken. Diese Balance macht die Protagonistin so nahbar – und die Geschichte umso kraftvoller.

Ein weiterer großer Pluspunkt ist das Setting: der historische Nahe Osten, atmosphärisch dicht eingefangen und mit einer Fülle an Details beschrieben, die einen förmlich in die Gischt der Indischen See und die geschäftigen Hafenstädte der Region eintauchen lassen. Chakraborty versteht es, historische Gegebenheiten, maritime Traditionen und regionale Mythen nicht nur anzudeuten, sondern sie in die DNA der Geschichte einzuweben. Man spürt beim Lesen den Salzgeruch der Küsten, hört das Klirren der Märkte, sieht die farbenprächtigen Stoffe und spürt die Last jahrhundertealter Handelsrouten. Gleichzeitig streut sie fein dosierte phantastische Elemente ein – Wesen aus alten Legenden, Magie, die eher flüstert als prahlt, und übernatürliche Phänomene, die sich nahtlos in die historische Kulisse einfügen. Diese subtile Verknüpfung ist so gekonnt, dass man manchmal vergisst, wo die historische Realität endet und die Magie beginnt. Die geschichtliche Akkuratesse wirkt dabei nicht wie ein lehrbuchhaftes Korsett, sondern eher wie ein Fundament, auf dem das Fantastische ruhig und selbstverständlich ruht – fast so, als könnten all diese übernatürlichen Ereignisse tatsächlich Teil der überlieferten Seefahrergeschichten dieser Region gewesen sein.

Doch ein Setting allein trägt keinen Roman; es sind die Figuren, die dieses Buch strahlen lassen. Amina ist nicht nur eine glaubwürdige, komplexe Hauptfigur, sondern wird auch von einer bunt zusammengewürfelten Crew unterstützt, deren Mitglieder alle sorgfältig ausgearbeitet sind. Jeder Dialog, jeder Schlagabtausch wirkt lebendig und bringt eine angenehme Leichtigkeit ins Geschehen. Selbst ernste Momente profitieren von dieser menschlichen Wärme: Die Figuren wirken nie wie bloße Nebenrollen, sondern wie echte Persönlichkeiten, die zur Lebendigkeit der Handlung beitragen.

Der Ton des Romans ist insgesamt überraschend witzig, ohne dabei im Entferntesten ins Alberne abzurutschen. Stattdessen entfaltet Chakraborty einen feinen, oft trockenen Humor, der sich vor allem in Aminas herrlich pointierten Kommentaren und den liebevoll-chaotischen Interaktionen ihrer Crew zeigt. Viele Szenen leben von diesem unterschwelligen Humor, der nicht laut schreit, sondern sich eher wie ein gut gesetzter Seitenhieb anfühlt – manchmal bissig, manchmal warmherzig, aber immer treffsicher. Gleichzeitig verfügt die Autorin über ein beeindruckendes Gespür für Timing: Slapstick sucht man hier vergeblich, stattdessen ergeben sich die komischen Momente ganz organisch aus den Figuren und der Situation. Und gerade weil der Humor so souverän und unaufdringlich eingesetzt wird, wirken die düsteren Passagen umso stärker. Wenn es gefährlich, grausam oder emotional wird, nimmt sich die Erzählung die nötige Ernsthaftigkeit, ohne ihren Rhythmus zu verlieren. Dieses fein austarierte Wechselspiel aus Leichtigkeit und gravitätischen Momenten sorgt dafür, dass das Buch nicht nur unterhaltsam ist, sondern einen auch emotional überraschend fest im Griff hat – ein Abenteuer, das ebenso berührt wie es zum Schmunzeln bringt.

Fazit: Dieser Roman ist schlicht „underrated“. Kaum zu glauben, dass „Die Abenteuer der Piratin Amina Al-Sirafi“ bislang nicht viel mehr Aufmerksamkeit erhalten hat, denn Chakraborty verbindet historische Präzision, erwachsene Figurenzeichnung und charmanten Humor zu einer Fantasy, die sich angenehm von gängigen Genre-Mustern abhebt. Empfehlenswert für alle, die bodenständige historische Fantasy mit Herz, Witz und Tiefe lieben – oder schlichtweg Fantasy suchen, die sich vom Mainstream abhebt.

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