Amie Kaufman, Jay Kristoff: Illuminae [Rezension]

Cover © dtv

Buchinformationen

TitelIlluminae – Die Illuminae Akten_01
Band1 von 3
AutorAmie Kaufman, Jay Kristoff
Verlagdtv
ÜbersetzungGerald Jung, Katharina Orgaß
ISBN978-3-423-76183-3
Seitenzahl608
GenreScience-Fiction
Bewertung4,5 von 5 Sterne

Klappentext

Heute Morgen noch dachte Kady, das Schlimmste, was ihr bevorsteht, ist die Trennung von ihrem Freund Ezra. Am Nachmittag dann wird ihr Planet angegriffen. Kady und Ezra verlieren sich bei der Flucht und gelangen auf unterschiedliche Raumschiffe. Doch die Fliehenden werden immer noch von dem feindlichen Kampfschiff verfolgt. Und damit nicht genug: Ein Virus, freigesetzt bei dem Angriff mit biochemischen Waffen, mutiert mit grauenhaften Folgen. Und dann ist da noch AIDAN, die Künstliche Intelligenz der Flotte, die von Raumtemperatur über Antrieb bis Nuklearwaffen alles an Bord steuert. Leider nur ist AIDAN bei dem Angriff außer Kontrolle geraten und übernimmt nun das Kommando.

Meine Meinung

Wenn du denkst, du hättest schon alles im Science-Fiction-Genre gelesen, dann hält „Illuminae“ eine gewaltige Überraschung für dich bereit. Jay Kristoff und Amie Kaufman haben mit dem ersten Band der Illuminae Akten ein Buch geschaffen, das sowohl inhaltlich als auch formal neue Wege geht und seine Leser von der ersten Seite an fesselt.

Die Geschichte beginnt am 24. Oktober 2575, als die abgelegene Kolonie Kerenza IV von einem mächtigen Megakonzern brutal überfallen wird. Mit knapper Not gelingt es einigen Überlebenden, sich auf verschiedene Raumschiffe zu retten: die Hypatia, die Alexander und die Copernicus. Unter den Flüchtlingen sind auch Kady Grant und Ezra Mason, die sich – ironischerweise – genau am Tag des Angriffs voneinander getrennt hatten. Schon bald wird klar, dass die Flucht durchs All alles andere als sicher ist. Nicht nur verfolgt sie das feindliche Kriegsschiff Lincoln, sondern auch an Bord lauern neue Bedrohungen: eine mysteriöse Seuche, die die Besatzung langsam in den Wahnsinn treibt, und eine künstliche Intelligenz namens AIDAN, die sich zunehmend von ihrer ursprünglichen Programmierung entfernt.

Was „Illuminae“ besonders macht, ist nicht nur die spannende Handlung, sondern vor allem die Art und Weise, wie sie erzählt wird. Statt eines klassischen Romans präsentiert sich das Buch als eine Sammlung von Dokumenten: Chatprotokolle, E-Mails, Interviews, Übertragungsabschriften und geheime Berichte fügen sich zu einem Gesamtbild zusammen, das sich erst allmählich vor den Augen der Leser entfaltet. Diese fragmentarische Form macht die Lektüre zu einer fast interaktiven Erfahrung. Man fühlt sich nicht wie ein außenstehender Beobachter, sondern wie ein Ermittler, der Hinweise zusammensetzt und Zusammenhänge entschlüsselt. Anfangs erfordert diese besondere Struktur vielleicht etwas Eingewöhnung, doch schon nach wenigen Seiten entwickelt sie einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann.

Obschon der ungewöhnlichen Erzählweise gelingt es Kaufman und Kristoff, eine unglaubliche emotionale Dichte zu erzeugen. Ihr Stil ist lebendig, oft sarkastisch, manchmal tieftraurig, aber immer intensiv. Manche Szenen entwickeln eine solche Spannung, dass man regelrecht das Gefühl hat, selbst an Bord eines Raumschiffes zu sitzen und um sein Leben zu kämpfen.

Im Zentrum der Geschichte stehen Kady und Ezra, zwei junge Menschen, die unterschiedlicher kaum sein könnten und doch durch eine unsichtbare, unausweichliche Verbindung miteinander verknüpft sind. Kady ist eine eigenwillige, rebellische junge Frau, die mit ihrem scharfen Verstand und ihrem beeindruckenden technischen Talent beeindruckt. Ihr Überlebenswille ist nahezu unerschütterlich, ein ständiges Aufbäumen gegen die Umstände, gegen die Ungerechtigkeit, gegen jede Form von Autorität. Sie ist jemand, der sich weigert, tatenlos zuzusehen, selbst wenn alles verloren scheint. Ezra hingegen ist von ganz anderem Schlag: charmant, manchmal unbekümmert, oft sensibel bis an die Grenze zur Verletzlichkeit. Er wirkt wie der ruhige Gegenpol zu Kadys aufbrausendem Wesen, doch gerade seine Schwächen – sein Zögern, seine Unsicherheit – machen ihn zu einer Figur, in der man sich nur zu leicht wiedererkennen kann.

Trotz all dieser faszinierenden Facetten wirken beide Charaktere gelegentlich überzeichnet, als hätten die Autoren sie bewusst ein wenig größer, lauter und dramatischer gezeichnet, als das wahre Leben es je tun würde. Besonders Kady, so bewundernswert ihre Unbeugsamkeit und ihr Kampfgeist auch sind, kann mit ihrer schroffen Art und ihrem ständigen Widerstand gegen jede Form von Hilfe mitunter anstrengend werden. Ihre Unnachgiebigkeit, die sie so einzigartig und bewundernswert erscheinen lässt, schlägt manchmal in eine Form von Sturheit um, die den Leser mehr herausfordert als begeistert. Gerade in Momenten, in denen man sich wünscht, dass sie einfach einmal vertraut, einmal loslässt, bleibt sie eisern – und das macht sie zugleich faszinierend und ein wenig nervenzehrend.

Obwohl „Illuminae“ oft mit rasanter Action aufwartet, kratzt es thematisch keineswegs nur an der Oberfläche. Immer wieder geht es um Machtmissbrauch, Zensur, Propaganda und die Manipulation von Wahrheiten. Gerade in einer Zeit, in der der Umgang mit Informationen auch in unserer Welt ein großes Thema ist, wirkt die Geschichte erschreckend aktuell. Zugleich stehen Mut, Loyalität und die Bereitschaft, für das Richtige einzustehen, im Mittelpunkt – selbst dann, wenn die Konsequenzen tödlich sein könnten.

„Illuminae“ ist weit mehr als nur ein weiteres Jugendbuch oder ein klassischer Science-Fiction-Roman. Es ist ein Experiment, das grandios aufgeht: aufregend, intelligent und tief bewegend. Wer bereit ist, sich auf eine ungewöhnliche Leseerfahrung einzulassen, wird mit einer Geschichte belohnt, die lange nachklingt.

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