Brandon Sanderson: Der Rythmus des Krieges [Rezension]

Cover © Heyne

Buchinformationen

TitelDer Rythmus des Krieges
Band7 von 10
AutorBrandon Sanderson
VerlagHeyne
ÜbersetzungMichael Siefener
ISBN978-3-453-27273-6
Seitenzahl960
GenreHigh Fantasy
Bewertung5 von 5 Sterne

Klappentext

Roschar ist eine von Stürmen heimgesuchte Welt. Diese Großstürme bringen neben der Verwüstung auch das magische Sturmlicht zu den Menschen und entfesseln bislang ungeahnte Kräfte in ihnen. Kräfte, die Roschars Völker im Kampf gegen die scheinbar unbesiegbare Armee der Bringer der Leere bitter nötig haben. Werden Fürst Dalinar, Kaladin und die Strahlenden Ritter Roschar rechtzeitig vereinen?

Meine Meinung

Mit „Der Rhythmus des Krieges“ führt Brandon Sanderson seine gewaltige Eposreihe, die Sturmlicht-Chroniken, in eine neue, zutiefst emotionale Phase, die weit über das hinausgeht, was man von klassischer High Fantasy erwartet. Sanderson, der längst für seine minutiös ausgearbeiteten Welten und komplexen Magiesysteme bekannt ist, öffnet diesmal eine andere Tür – eine, die direkt ins Herz seiner Figuren führt.

Während sich die Handlung immer weiter zuspitzt, Bündnisse zerbrechen und der Krieg zwischen Menschen und Parschendi eine nie dagewesene Dimension von Zerstörung und Verzweiflung erreicht, verschiebt Sanderson geschickt den erzählerischen Schwerpunkt. Wo in anderen Epen der Lärm der Schlachten und das Funkeln der Klingen dominieren, herrscht hier oft eine eindringliche Stille – der Moment zwischen zwei Atemzügen, in dem Schmerz, Zweifel und Hoffnung aufeinandertreffen. Und genau darin liegt die große Stärke dieses Bandes: Sanderson richtet seinen Blick nicht allein auf das Äußere, auf Magie, Macht und Konflikte, sondern auf das Innere – auf die zerbrechliche, menschliche Seele. Er zeigt Helden, die nicht nur gegen äußere Feinde kämpfen, sondern gegen ihre eigenen Schatten. Figuren, die trotz göttlicher Kräfte zutiefst menschlich bleiben. In einer Welt, in der Sturm und Chaos regieren, erinnert „Der Rhythmus des Krieges“ daran, dass wahre Größe oft in den stillsten Momenten liegt – in jenen Augenblicken, in denen man sich selbst neu erkennen muss, um weitermachen zu können.

Besonders eindrucksvoll – ja, beinahe erschütternd – ist Sandersons Umgang mit Kaladin, der sich seit dem ersten Band zu einem der komplexesten und zugleich menschlichsten Charaktere der modernen Fantasy entwickelt hat. In „Der Rhythmus des Krieges“ erreicht seine Reise einen tiefen, existenziellen Wendepunkt: Kaladin ist noch immer ein Krieger, sein Körper stark und trainiert – doch seine Seele trägt Wunden, die kein Schwert heilen kann. Seine posttraumatische Belastungsstörung und seine Depression werden von Sanderson mit einer Sensibilität geschildert, die man in der epischen Fantasy nur selten findet. Statt den Schmerz zu romantisieren, legt der Autor ihn offen – roh, ehrlich, und zutiefst menschlich. Kaladin ist nicht länger der unbeugsame Held, der mit erhobenem Speer gegen jeden Sturm antritt. Stattdessen steht er vor der schmerzhaften Frage: Wer bin ich, wenn ich nicht mehr kämpfen kann?
Diese innere Sinnsuche zieht sich wie ein leiser, melancholischer Faden durch den gesamten Roman. Sanderson lässt uns jede Erschütterung, jede Ohnmacht, aber auch jedes kleine Aufblitzen von Hoffnung miterleben. Man spürt den Sturm in Kaladins Innerem – tosend, unberechenbar, doch niemals bedeutungslos. Mit einer seltenen Mischung aus Einfühlungsvermögen und erzählerischer Präzision gelingt es Sanderson, psychische Erkrankungen in den Mittelpunkt einer High-Fantasy-Geschichte zu rücken, ohne sie zu vereinfachen oder zu verzerren. Beim Lesen hat man oft das Gefühl, direkt im Herzen des Charakters zu stehen – dort, wo Licht und Dunkelheit unaufhörlich miteinander ringen. Dort, wo der Sturm nie endet.

Auch Schallan und Adolin stehen in diesem Band vor Prüfungen, die sie an die Grenzen ihrer eigenen Identität führen – und darüber hinaus. Schallan, seit Langem gefangen in den Spiegeln ihrer zersplitterten Seele, ringt erneut mit den vielen Stimmen in sich. Ihre verschiedenen Identitäten, einst Schutzschilde gegen Schmerz und Verlust, beginnen zu bröckeln – und sie muss entscheiden, ob sie den Mut findet, sich selbst als Ganzes anzunehmen. Ihre Entwicklung ist schmerzhaft, ja, manchmal kaum zu ertragen, und doch liegt in diesem Prozess eine stille, unerschütterliche Kraft. Sanderson zeichnet hier das bewegende Porträt einer Frau, die Schicht für Schicht zu sich selbst zurückfindet – nicht in einem Moment der Offenbarung, sondern in einem langen, mühsamen Erwachen.

Adolin wiederum tritt stärker ins Licht als je zuvor – und gerade darin zeigt sich seine Größe. Er wächst nicht durch Magie, nicht durch heroische Heldentaten, sondern durch das, was in dieser Welt fast unscheinbar wirkt: Loyalität, Güte und Geduld. Während ringsum Stürme toben und Götter miteinander ringen, bleibt Adolin der ruhende Pol, der daran erinnert, dass wahre Stärke nicht immer laut ist. Sein Mut ist kein Feuer, das hell brennt, sondern ein stetiges, warmes Licht – eines, das anderen den Weg weist, ohne je selbst den Anspruch auf Ruhm zu erheben.

Einmal mehr beweist Brandon Sanderson, warum er zu den größten Erzählern der modernen Fantasy zählt. „Der Rhythmus des Krieges“ ist nicht nur ein weiterer Band einer monumentalen Saga – er ist ein literarisches Kraftwerk, das die epische Weite Roschars mit der schonungslos ehrlichen Innenschau seiner Figuren vereint. Der Roman ist überwältigend in seinem Umfang, vielschichtig in seiner Bedeutung und zugleich von einer erstaunlichen Präzision getragen. Trotz all der Stürme, Schlachten und Offenbarungen verliert Sanderson niemals den Blick für das, was seine Welt wirklich lebendig macht: die Menschen – und die Sprengsel –, die inmitten von Krieg und Göttern ihre eigene Wahrheit suchen. Mit sicherer Hand hält er die Balance zwischen politischer Intrige, göttlicher Mythologie und tiefer emotionaler Intimität. Das Ergebnis ist ein Werk, das ebenso geistreich wie bewegend ist, voller Nachhall und stiller Größe. Und selbst in Momenten größter Verzweiflung lässt Sanderson immer wieder Funken der Hoffnung aufleuchten – kleine Lichter aus Freundschaft, Liebe und Menschlichkeit, die selbst im dunkelsten Sturm nicht verlöschen.

„Der Rhythmus des Krieges“ ist kein Buch, das man einfach liest – man erlebt es. Es hallt nach, beschäftigt, bewegt. Sanderson zeigt, dass wahre Stärke nicht in unbesiegbaren Helden liegt, sondern in jenen, die trotz ihrer inneren Narben weitermachen. Ein monumentaler Band, der die Sturmlicht-Chroniken nicht nur weiterführt, sondern vertieft – emotional, thematisch und erzählerisch.

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