
Buchinformationen
| Titel | Wenn die Masken fallen: Ein Meister der Täuschung, ein charismatischer Verführer und die Geheimnisse von Cambridge |
| Band | Einzelband |
| Autor | Kate van der Borgh |
| Verlag | Goldmann |
| Übersetzung | Kristof Kurz |
| ISBN | 978-3-442-31789-9 |
| Seitenzahl | 432 |
| Genre | zeitgenössische Belletristik, Horror |
| Bewertung | 4 von 5 Sterne |
Klappentext
Ein Studium in Cambridge war sein größter Traum. Doch kaum auf dem Campus angekommen, fühlt er sich wie ein Fremdkörper. Alles scheint den anderen vertraut: das Kahnfahren auf der Themse, die hitzigen Debatten über Politik, teurer Wein, elegante Garderobe. Nur er bleibt außen vor – bis er Bryn Cavendish begegnet. Bryn ist der Mittelpunkt jeder Party, ein begnadeter Illusionist und charismatischer Rebell. Wer zu seinem Kreis gehört, lebt wie im Rausch – frei von Regeln und Grenzen. Wer aber ausgeschlossen wird, ist ein Niemand. Doch je weiter das Studienjahr voranschreitet, desto dunkler wird Bryns Aura. Und eine Frage wird immer drängender: Ist Bryn wirklich nur charmant? Oder lauert hinter seinem Lächeln eine eiskalte Wut, die unberechenbar ist?
Meine Meinung
Kate van der Borgh präsentiert mit „Wenn die Masken fallen“ einen zeitgenössischen Roman, der wie ein fein gesponnenes Netz wirkt: still, unscheinbar und doch mit einer Sogkraft, die den Leser von der ersten Seite an gefangen nimmt. Im Zentrum steht nicht die klassische Spannung mit schnellen Wendungen oder atemlosen Szenen, sondern eine psychologische Intensität, die sich langsam entfaltet. Der Roman ist ein Kammerspiel, das in seiner Reduktion auf zwei Hauptfiguren eine enorme Wirkung entfaltet. Mit jeder Begegnung, jedem Dialog und jeder subtilen Beobachtung zieht sich die Schlinge enger, bis die glänzende Fassade einer scheinbar charismatischen Persönlichkeit Risse bekommt und schließlich in sich zusammenfällt.
Bryn Cavendish steht nicht nur im Mittelpunkt der Handlung, sondern zieht auch alle Aufmerksamkeit auf sich – wie ein Magnet, dem man sich kaum entziehen kann. Er ist der charismatische Mittelpunkt einer Geschichte, die von Anziehung und Abstoßung gleichermaßen lebt: charmant und schillernd auf den ersten Blick, doch von einer Aura des Unheimlichen umgeben, die man nicht sofort greifen kann. Van der Borgh zeichnet Bryn mit feiner Feder und verleiht ihm eine Vielschichtigkeit, die ihn weit über das Klischee des dunklen Verführers hinaushebt. Immer wieder blitzen Schattenseiten an ihm auf: beiläufig hingeworfene Bemerkungen, subtile Machtspiele, unausgesprochene Drohungen zwischen den Zeilen. Diese kleinen Risse in der perfekten Fassade lassen den Leser erahnen, dass unter der Oberfläche eine gefährliche Tiefe lauert. Dieses permanente Brodeln, dieses Gefühl, dass jederzeit etwas kippen könnte, ist der wahre Motor des Romans – und macht Bryn zu einer Figur, die gleichermaßen fesselt wie einschüchtert.
Van der Borghs Stil ist von einer beeindruckenden Klarheit: nüchtern, präzise, manchmal fast lakonisch – und gerade deshalb so wirkungsvoll. Sie verzichtet auf überbordende Dramatik oder sprachliche Effekthascherei und entfaltet stattdessen eine stille, unterschwellige Spannung, die umso stärker wirkt. Jedes Wort sitzt, jeder Satz ist messerscharf gesetzt, und diese sprachliche Zurückhaltung wirkt wie ein Brennglas auf das psychologische Drama zwischen den Figuren. Die Handlung entfaltet sich nicht in lauten Höhepunkten, sondern schleicht sich leise, aber unaufhaltsam in das Bewusstsein des Lesers, wie ein feines Gift, das sich Seite für Seite ausbreitet. Auch das Setting trägt zu dieser permanenten Unruhe bei: modern und urban, doch bewusst unscharf gehalten, als wolle die Autorin betonen, dass das Geschehen überall und jederzeit stattfinden könnte – und gerade dadurch bekommt die Geschichte etwas Universelles und Beunruhigendes.
Im Verlauf der Handlung verdichten sich die Spannungsmomente wie dunkle Wolken am Horizont. Was zunächst wie harmlose Irritationen wirkt, wächst zu einer Atmosphäre ständiger Bedrohung heran. Jede Begegnung zwischen dem Erzähler und Bryn scheint ein weiteres Puzzlestück zu enthüllen, bis schließlich Bryns wahres Wesen unaufhaltsam ans Licht dringt. Diese Enthüllung kommt nicht als plötzlicher Schock, sondern als das unausweichliche Resultat einer schleichenden Eskalation: ein langsames, fast unmerkliches Abgleiten in eine toxische Dynamik, die von Anfang an unter der Oberfläche lauerte. Gerade diese behutsam aufgebaute Spannungskurve, die den Leser Seite für Seite tiefer in den Abgrund dieser Beziehung zieht, macht den Roman so eindringlich und fesselnd.
Das Auffälligste ist, dass der Protagonist namenlos bleibt – ein Kunstgriff, der der Geschichte nicht nur eine kühle Distanz, sondern auch eine universelle Dimension verleiht: Jeder Leser könnte an seiner Stelle stehen. Dieser Erzähler wirkt zugleich analytisch und obsessiv, beinahe wie ein emotionsloser Chronist seiner eigenen Obsession. Seine Begegnungen mit Bryn schildert er mit einer Kälte, die bisweilen an einen Psychopathen erinnert. Statt Empathie oder Leidenschaft vermittelt er den Eindruck eines distanzierten Beobachters, der sein Gegenüber ebenso präzise wie erbarmungslos seziert. Genau diese unbeteiligte Perspektive ist es, die die Handlung von Beginn an in eine beklemmende Atmosphäre taucht – man liest, als lausche man heimlich Gesprächen hinter verschlossenen Türen.
Die Stimme dieses namenlosen Erzählers trägt entscheidend dazu bei, dass sich beim Lesen ein permanentes Gefühl der Unsicherheit einstellt. Nichts ist greifbar, nichts verlässlich; jedes Detail könnte ebenso gut Realität wie Projektion sein. Die distanzierte, beinahe klinische Art der Schilderung lässt den Leser ständig daran zweifeln, wie viel Wahrheit sich in diesen Erinnerungen verbirgt und wo Einbildung beginnt. Dieses Spiel mit Subjektivität und Wahrheit, mit Nähe und Fremdheit, macht den Roman zu einem raffinierten psychologischen Puzzle und ist zweifellos eine seiner größten Stärken.
„Wenn die Masken fallen“ ist kein Roman, den man mal eben zwischen Tür und Angel liest. Er verlangt Konzentration, Geduld und die Bereitschaft, sich auf eine zunehmend bedrückende Beziehungskonstellation einzulassen, die mit jeder Seite enger wird – fast wie ein Netz, das sich langsam um den Leser zieht. Wer Freude an psychologischer Tiefe, subtiler Spannung und einer düsteren, beinahe klaustrophobischen Grundstimmung hat, wird hier reich belohnt: Kate van der Borgh bietet ein literarisches Psychogramm, das nicht nur fesselt, sondern noch lange in Form eines beklemmenden Gefühls nachhallt.
[unbezahlte Werbung | Rezensionsexemplar]
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