Amie Kaufman: The Isles of the Gods [Rezension]

Buchinformationen

TitelThe Isles of the Gods
Band1 von 2
AutorAmie Kaufman
VerlagFischer Sauerländer
ÜbersetzungBarbara König
ISBN978-3-7373-6207-8
Seitenzahl480
GenreHigh Fantasy, Romantasy
Bewertung4 von 5 Sterne

Klappentext

Selly ist nur ein Schiffsmädchen auf der Kleinen Lizabetta, aber sie träumt davon, eines Tages selbst Kapitänin zu sein. Da betritt ein Fremder das Schiff, und mitten in der Nacht setzen sie heimlich die Segel. Der Fremde ist Prinz Leander von Alinor, der mächtigste und leider auch der attraktivste Magier des Reiches. Ausgerechnet er soll die Götter besänftigen und einen drohenden Krieg verhindern? Ehe sie sich’s versieht, wird Selly zur Anführerin einer lebensgefährlichen Mission, und notgedrungen kommen Leander und Selly sich näher …

Meine Meinung

Amie Kaufman ist eine bekannte Größe im Bereich Young Adult Fantasy, insbesondere durch ihre Co-Autorenschaft bei „Illuminae“ und der „Aurora Rising“-Trilogie. Mit „The Isles of the Gods“, dem Auftakt einer neuen Dilogie, wagt sie sich erneut auf Solo-Pfade – und das mit einer frischen, mythengetränkten Welt, interessanten Nebenfiguren und einem gut durchdachten Magiesystem.

Kaufman entwirft in „The Isles of the Gods“ eine atmosphärisch dichte Welt, die den Leser sofort in ihren Bann zieht. Die Szenerie fühlt sich an wie ein poetisches Zusammenspiel aus maritimer High Fantasy und den archaischen Sagen antiker Mythologie – salzige Meeresluft mischt sich mit uralten Prophezeiungen, und zwischen schroffen Küsten, versunkenen Tempeln und von Göttern gesegneten Inseln entfaltet sich ein Universum voller Geheimnisse. Besonders beeindruckend ist die Rolle der Götter; ihr Einfluss ist in den Kulturen, der Politik und selbst im Alltagsleben der Menschen tief verankert. Statt bloßer religiöser Kulisse oder folkloristischem Hintergrundrauschen bilden die Götter hier das emotionale und politische Rückgrat der Geschichte. Ihr Erwachen, ihr Zorn oder ihr Schweigen entscheiden über das Schicksal ganzer Nationen. Dadurch entsteht eine Welt, in der Magie nicht nur eine Fähigkeit ist – sie ist ein Ausdruck von Glauben, Macht und Identität. Diese göttlich durchwirkte Welt fühlt sich nicht nur lebendig an, sondern auch gefährlich – und genau das macht ihren Reiz aus.

Der Roman entfaltet seine Handlung aus mehreren Perspektiven – darunter Selly, Prinz Leander und weitere, klug ausgewählte Nebenfiguren – und gewinnt dadurch eine erzählerische Tiefe, die das Leseerlebnis enorm bereichert. Der regelmäßige Wechsel zwischen den Sichtweisen sorgt nicht nur für ein dynamisches Erzähltempo, sondern erlaubt auch einen vielschichtigen Blick auf die Geschehnisse: politische Intrigen und persönliche Motive werden so aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Jede Figur bringt ihre eigene Wahrheit, ihre eigenen Ängste und Ambitionen mit – was der Geschichte eine wohltuende moralische Komplexität verleiht.

Besonders bemerkenswert ist, dass gerade die Nebenfiguren erstaunlich viel Raum zur Entfaltung bekommen – und diesen mit einer Tiefe und Reife füllen, die der Protagonistin Selly mitunter fehlt. Figuren wie Leander, der als privilegierter Adliger mit dem Gewicht seiner Rolle ringt, oder eine Attentäterin mit unerwartet reflektiertem Innenleben, stehlen der Hauptfigur nicht selten die Show. Ihre inneren Konflikte wirken differenzierter, ihre Entwicklungen glaubwürdiger. Das ist Fluch und Segen zugleich: Einerseits entstehen dadurch einige der stärksten Momente des Buches – etwa dann, wenn scheinbar gegensätzliche Figuren überraschend ähnliche Zweifel teilen oder wenn aus Feinden nuancierte Menschen werden. Andererseits leidet darunter gelegentlich die emotionale Bindung zu Selly selbst, deren Handlungsstränge im Vergleich manchmal blass oder unentwickelt wirken. So verschiebt sich der Fokus unweigerlich – weg von der eigentlich zentralen Figur, hin zu jenen Charakteren, die das Geschehen mit mehr Tiefe und innerer Spannung füllen.

Selly ist zweifellos keine klassische Heldin – und genau das macht sie zunächst interessant. Sie bringt viele Eigenschaften mit, die man von einer glaubwürdigen, modernen Protagonistin erwartet: Sie ist willensstark, widerstandsfähig, kämpferisch und lässt sich nur ungern etwas sagen. Unter dieser harten Schale jedoch verbirgt sich eine tiefe Verletzlichkeit, die sie mit aller Macht zu verbergen versucht – sei es durch Trotz, Sarkasmus oder das bewusste Fernhalten anderer Menschen. Gerade in dieser komplexen Anlage liegt jedoch auch die größte Schwäche der Figur: Selly bleibt emotional schwer greifbar. Ihre Motive – insbesondere ihr Drang, sich gegenüber ihrem Vater und der Schiffscrew zu beweisen – werden zwar immer wieder betont, wirken aber auf Dauer erstaunlich eindimensional. Die innere Zerrissenheit, die sie antreibt, bleibt oft nur angedeutet, selten wirklich durchlebt oder reflektiert.

Im Verlauf des Romans durchläuft Selly zwar äußerlich eine Entwicklung: Sie stellt sich Herausforderungen, übernimmt Verantwortung und wächst an den Gefahren, denen sie ausgesetzt ist. Doch dieser Wandel fühlt sich stellenweise sprunghaft an, beinahe unfertig. Ihre Charakterentwicklung erfolgt nicht in klar nachvollziehbaren Etappen, sondern wirkt eher wie ein Nebeneffekt der äußeren Handlung – statt aus innerer Überzeugung geboren zu sein. Erschwerend kommt hinzu, dass Sellys impulsive, häufig trotzig wirkende Entscheidungen sie dem Leser emotional entfremden. Sie agiert oft aus Frust oder verletztem Stolz heraus, anstatt Situationen mit Weitblick oder innerer Klarheit zu begegnen. Dadurch wirkt sie eher reaktiv als gestaltend – sie wird von der Handlung mitgerissen, statt sie wirklich zu führen.

In einem Ensemble von Nebenfiguren, die durchdacht, differenziert und oft erstaunlich reif auftreten, bleibt Selly ausgerechnet als zentrale Figur stellenweise blass. Ihre Perspektive soll den emotionalen Anker der Geschichte bilden – doch sie schwankt, rudert gegen den Strom und schafft es nicht immer, die Verbindung zum Leser aufrechtzuerhalten. Das ist bedauerlich, denn das Potenzial für eine vielschichtige, berührende Heldin ist zweifellos vorhanden. Nur bleibt es in diesem ersten Band noch zu oft unter der Oberfläche verborgen.

Die Liebesgeschichte zwischen Selly und Leander ist – um es ehrlich zu sagen – eine der schwächsten Komponenten des Romans. Was als langsames Knistern zwischen Gegensätzen beginnt, entwickelt sich schnell zu einem vorhersehbaren Hin und Her voller bedeutungsschwerer Blicke, verletzter Egos und unbeholfener Dialoge, die eher Stirnrunzeln als Herzklopfen auslösen. Es ist genau die Art von „romantischer Spannung“, wie man sie bereits aus Kaufmans Co-Autorenschaften mit Jay Kristoff kennt: gewollt intensiv, überdramatisiert und stellenweise schlicht cringe. Statt subtiler Annäherung oder nachvollziehbarem emotionalem Aufbau serviert uns die Handlung eine forcierte Dynamik zwischen zwei Charakteren, die sich gegenseitig lieber anfunkeln als ehrlich miteinander zu sprechen. Die Chemie bleibt dabei eher Theorie als Gefühl – und wirkt in einer ansonsten sorgfältig konstruierten Welt wie ein Fremdkörper, der vor allem eins verdeutlicht: Nicht jede Geschichte braucht eine Romanze, und schon gar nicht eine, die sich wie ein Pflichtpunkt auf der To-do-Liste anfühlt.

Nichtsdestotrotz ist „The Isles of the Gods“ ein gelungener Start. Die Welt ist originell, das Erzähltempo gut austariert, und die mythologische Komponente verleiht dem Roman Tiefe. Zwar fehlt es der Protagonistin an emotionaler Resonanz, was in einem „Character Driven“ Fantasyroman nicht unerheblich ist, doch die packende Handlung und die starken Nebenfiguren kompensieren diesen Mangel weitgehend. Wer nautische Fantasy mit einer Prise Göttlichkeit mag, wird dieses Buch verschlingen – mit der Hoffnung, dass Selly in der Fortsetzung emotional etwas mehr Wind in ihre Segel bekommt.

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