Brandon Sanderson: Die Worte des Lichts [Rezension]

Cover © Heyne

Buchinformationen

TitelDie Worte des Lichts
Band3 von 10
AutorBrandon Sanderson
VerlagHeyne
ÜbersetzungMichael Siefener
ISBN978-3-4532-6747-3
Seitenzahl976
GenreHigh Fantasy
Bewertung5 von 5 Sterne

Klappentext

Die Welt Roschar wird von Stürmen und Machtkämpfen erschüttert. Der Krieg zwischen dem Volk von Alethkar und den geheimnisvollen Parshendi tobt bereits jahrelang – ein Krieg, der magische Geheimnisse aus dunkler Vergangenheit heraufbeschwört. Ein Krieg, in dem einfache Menschen als Helden aufstehen, Jäger zu Gejagten werden und sich Magie in Fluch verwandeln kann.
Sechs Jahre ist es her, dass der König von Alethkar ermordet wurde. Sein Mörder, ein geheimnisvoller, weiß gewandeter Attentäter, wurde offenbar von dem Volk beauftragt, mit dem der König gerade einen Friedensvertrag unterzeichnet hatte: den Parshendi. In ihrem Rachedurst stellten die Großprinzen der Alethi ein Heer zusammen und zogen gegen die Parshendi in den Krieg. Nun, sechs Jahre später, ist dieser Krieg zu einem Stellungskampf auf der unwirtlichen Zerschmetterten Ebene erstarrt. Schon beginnen sich die Adligen in Intrigen aufzureiben, als plötzlich der Attentäter wieder zurückkehrt – und mit ihm Wesen aus einer vergessen geglaubten Vergangenheit: die Strahlenden Ritter mit ihren magischen Klingen. Können sie den Krieg beenden? Werden sie die Alethi und ganz Roschar vor dem letzten, alles zerstörenden Sturm retten können?

Meine Meinung

Mit „Die Worte des Lichts“, dem dritten Band der deutschen Ausgabe der Sturmlicht-Chroniken, gelingt Brandon Sanderson erneut ein Geniestreich der High Fantasy. Obwohl es sich im englischen Original um den zweiten Band (Words of Radiance) handelt, ist es in der deutschen Reihenfolge Band 3 – da der erste englische Band (The Way of Kings) in Deutschland auf zwei Bände aufgeteilt wurde. Nach „Der Weg der Könige“ und „Der Pfad der Winde“ geht die epische Reise in der Welt Roschar nun in eine neue, noch tiefere Phase über. Der Roman erweitert nicht nur die komplexe Welt, sondern bietet auch bewegende Charakterentwicklungen und einen fesselnden Plot, der sich immer weiter zuspitzt.

Schon in den ersten beiden Bänden hat Brandon Sanderson eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass er zu den größten Architekten fantastischer Welten unserer Zeit zählt. Seine Welt Roschar ist nicht nur eine bloße Kulisse für epische Abenteuer, sondern ein atmendes, schlagendes Herzstück der gesamten Erzählung – ein Ort voller Sturm, Stein und Seele. In „Die Worte des Lichts“ gelingt es ihm erneut – und mehr denn je –, diese Welt auf vielschichtige Weise zu erweitern. Geografisch werden neue Landschaften und Städte erschlossen, die ebenso visuell wie atmosphärisch greifbar werden. Kulturell tauchen wir tiefer in die Eigenheiten der Völker ein, entdecken alte Bräuche, Gebräuche und Weltanschauungen, die in ihrer Vielfalt und Tiefe echtes anthropologisches Gewicht haben. Und auf mythologischer Ebene öffnet Sanderson Türen zu uralten Wahrheiten, vergessenen Göttern und einem Kosmos voller Rätsel, der immer mehr seine Schleier lüftet. Dabei ist es gerade seine Liebe zum Detail, die Roschar zu einem der glaubwürdigsten und faszinierendsten Weltenkonstrukte der modernen Fantasy macht. Kein Name, kein Symbol, keine Redewendung steht isoliert – alles ist durchzogen von Geschichte, Bedeutung und innerer Logik. Selbst beiläufige Hinweise entfalten später enorme Bedeutung, was dem Leser das Gefühl gibt, Teil eines viel größeren Ganzen zu sein.

Roschar wirkt uralt, mit Narben und Geheimnissen aus Jahrtausenden – und zugleich frisch und voller Überraschungen. Es ist eine Welt, die man nicht nur betrachtet, sondern erlebt. Und wenn man einmal eingetaucht ist, möchte man sie nicht mehr verlassen. Vielmehr wächst mit jeder Seite der Wunsch, noch tiefer zu graben, noch mehr zu verstehen – bis man sich völlig in diesem gewaltigen, stürmischen Universum verloren hat.

So beeindruckend Sandersons Weltbau auch ist – es sind seine Charaktere, die die Sturmlicht-Chroniken zu einem emotional so intensiven Erlebnis machen. Die Geschichte lebt nicht nur von epischen Schlachten und uralten Mysterien, sondern vor allem von den Figuren, die in dieser sturmgepeitschten Welt ihr Schicksal suchen und formen. In diesem Band rücken vor allem zwei Figuren ins Zentrum des Geschehens: Kaladin und Schallan – beide auf ganz unterschiedliche Weise zerrissen, und beide auf dem Weg zu etwas Größerem, als sie selbst begreifen können.

Kaladin, der ehemalige Sklave, Soldat, Heiler und nun Hauptmann der Leibgarde, bleibt eine der eindrucksvollsten Figuren moderner Fantasy. Er kämpft nicht mehr nur gegen äußere Feinde, sondern vor allem gegen die Schatten in sich selbst – gegen Misstrauen, Zorn, Schuld und die lähmende Angst zu versagen. Sanderson führt uns tief in Kaladins Gedankenwelt, lässt uns seine inneren Konflikte miterleben, seine Zweifel, seine Opfer. Und dennoch – oder gerade deshalb – bleibt er ein Fanal der Hoffnung, ein Symbol für Integrität in einer Welt, die von Verrat, Machtgier und Zynismus geprägt ist.

Schallan Davar wächst in diesem Band regelrecht über sich hinaus. Was in den vorherigen Bänden noch wie ein faszinierender, aber teils verspielter Nebenstrang wirkte, entwickelt sich nun zu einem der emotionalen und inhaltlichen Kernstücke des Romans. Schallan ist klug, kreativ und innerlich zutiefst zerrissen – ihre Reise ist ebenso mutig wie schmerzhaft. Sie konfrontiert nicht nur äußere Gefahren, sondern vor allem ihr eigenes zersplittertes Selbstbild, ihre verdrängten Erinnerungen und die Masken, hinter denen sie sich zu verstecken versucht. Ihre Fähigkeit, durch Illusionen Wahrheit zu offenbaren, ist nicht nur Magie, sondern Metapher – und ihre Kapitel gehören zweifellos zu den stärksten des gesamten Buches. In beiden Figuren steckt eine enorme psychologische Tiefe, die selten in diesem Genre zu finden ist. Sanderson scheut sich nicht, seine Helden zerbrechlich zu zeigen – menschlich, fehlerhaft, aber gerade deshalb so greifbar. Ihre Entwicklung ist kein plötzlicher Wandel, sondern ein glaubwürdiger, oft schmerzhafter Prozess, der den Leser tief berührt.

Brandon Sanderson ist ein Autor, der seine Geschichten nicht überstürzt erzählt. Er verzichtet auf hastige Wendungen oder Effekthascherei – stattdessen baut er Spannung mit der Präzision eines Architekten. „Die Worte des Lichts“ ist kein Buch, das von einer einzigen Explosion zur nächsten hetzt, sondern eines, das seine Wucht aus dem stetigen, druckvollen Aufbau seiner Konflikte bezieht. Der Plot dieses Bandes ist geprägt von leisen Tönen und schwelenden Spannungen, die sich langsam, aber unaufhaltsam in Richtung eines gewaltigen Höhepunkts bewegen. Intrigen spinnen sich enger, politische Fronten verhärten sich, und der Schatten der kommenden Katastrophe wird mit jeder Seite greifbarer. Es ist, als würde sich ein Sturm am Horizont sammeln – man sieht ihn noch nicht ganz, doch man spürt schon die ersten Böen, das Knistern in der Luft, das leise Grollen in der Ferne. Dabei schafft Sanderson es meisterhaft, verschiedene Handlungsstränge elegant miteinander zu verweben. Was anfangs wie separate Erzählfäden wirkt, verschmilzt im Laufe des Romans zu einem kunstvoll geknüpften Netz aus Ursachen und Wirkungen, Geheimnissen und Enthüllungen. Jeder Schritt, den die Figuren machen, hat Konsequenzen – manchmal unerwartet, manchmal verheerend, aber immer bedeutungsvoll. Besonders gelungen ist dabei die Art und Weise, wie Sanderson Andeutungen streut, falsche Fährten legt und den Leser dazu einlädt, mitzudenken, zu spekulieren, mitzufiebern. Wenn sich dann am Ende einzelne Puzzleteile zusammenfügen, ergibt sich ein Bild von epischer Tragweite, das nicht nur überrascht, sondern regelrecht erschüttert.

Mit knapp 976 Seiten ist „Die Worte des Lichts“ ein echter Brocken. Doch Sanderson beweist erneut, dass Umfang und Spannung sich nicht ausschließen müssen. Selbst die ruhigeren Momente – sei es eine innere Reflexion, ein strategisches Gespräch oder eine unerwartete Entdeckung – sind voller Substanz und tragen zur Gesamterfahrung bei. Die Kapitel sind so konstruiert, dass man immer weiter lesen muss. Kaum ein anderer Autor versteht es so gut, den Leser auf ein literarisches Abenteuer mitzunehmen, das keine Seite zu viel hat.

„Die Worte des Lichts“ ist nicht einfach nur ein guter Fantasy-Roman – es ist ein literarisches Erlebnis. Die Charaktere wachsen, die Welt entfaltet sich, und der übergeordnete Konflikt beginnt seine volle Wucht zu entfalten. Wer High Fantasy liebt, die sowohl epische Dimensionen als auch intime Charakterdramen vereint, wird hier voll auf seine Kosten kommen. Brandon Sanderson liefert ein Buch ab, das zum Träumen, Mitfühlen und Staunen einlädt – und am Ende will man nichts sehnlicher, als sofort mit dem nächsten Band weiterzumachen.

Hinterlasse einen Kommentar

Erstelle eine Website oder ein Blog auf WordPress.com

Nach oben ↑