Hannah Whitten: The Foxglove King [Rezension]

Cover © Blanvalet

Buchinformationen

TitelThe Foxglove King – Ein Hauch von Tod
Band1 von 3
AutorHannah Whitten
VerlagBlanvalet
ÜbersetzungSimon Weinert
ISBN978-3-734-16419-4
Seitenzahl592
GenreHigh Fantasy, Dark Fantasy, Romantasy
Bewertung5 von 5 Sterne

Klappentext

Seit jeher kann sich Schmugglerin Lore nur auf ihren scharfen Verstand verlassen. Als sie bei einem Botengang erwischt wird, bringt man die junge Frau an den Hof des Königs, der ihr dunkles Geheimnis kennt: ihre illegale Affinität zur Totenmagie Mortem. Um der Hinrichtung zu entgehen, übernimmt Lore einen Auftrag für ihn. Zur Seite gestellt bekommt sie den jungen Mönch Gabriel, zu dem sie – wie auch zu ihrem Zielobjekt Prinz Bastian – eine unbestreitbare Anziehung verspürt. Gefangen in einem Gewirr aus Intrigen, Machtspielchen und ihren Gefühlen darf Lore ihr Ziel nicht aus den Augen verlieren …

Meine Meinung

Nach ihrer eindrucksvollen Wilderwood-Dilogie kehrt Hannah Whitten mit „The Foxglove King – Ein Hauch von Tod“ zurück – und liefert ein Fantasyerlebnis, das seinen Vorgängern in nichts nachsteht. Im Gegenteil: Mit einem mutigen Wechsel der Tonlage, einem faszinierend finsteren Setting und ungewöhnlicher Magie schlägt sie neue, kompromisslosere Pfade ein. Das Ergebnis ist ein atmosphärisch dichter Roman, der in jeder Hinsicht begeistert.

Bereits „Für den Wolf“ verzauberte mit einer düsteren, beinahe märchenhaften Atmosphäre – ein nebelverhangenes Waldreich voller Magie, Melancholie und Naturgewalten, die ebenso bedrohlich wie poetisch wirkten. „The Foxglove King“ knüpft an diese Grundstimmung an, doch schlägt erzählerisch eine deutlich schärfere Tonart an: Hier ist die Dunkelheit nicht mehr nur geheimnisvoll, sondern eiskalt, kalkulierend und gnadenlos. Die Gefahr geht nicht länger von wilden, uralten Kräften der Natur aus, sondern entspringt einem durch und durch von Machtgier, Manipulation und moralischem Verfall durchzogenen System. Die Bedrohung ist keine ferne Legende, sondern sitzt auf Thronen, flüstert in Kirchenmauern, atmet durch das Blut der Toten – und sie ist allgegenwärtig. Die Atmosphäre ist nicht märchenhaft, sondern messerscharf; nicht verheißungsvoll, sondern von einem düsteren Unterton durchzogen, der stets spürbar bleibt. In diesem Setting wirkt selbst Magie wie eine Last – tödlich, kontrollierend, entfremdend. Ein Kontrast, der fasziniert und zugleich frösteln lässt.

Im Mittelpunkt dieser düsteren Geschichte steht Lore, eine Protagonistin, wie man sie im Fantasygenre nur selten findet – kantig, verletzlich, unberechenbar. Ihre Verbindung zur Todesmagie – dem Mortem, das unaufhörlich durch ihre Adern pulsiert – macht sie nicht nur zu einer Figur am Rand der Gesellschaft, sondern auch zu einem Spielball gegensätzlicher Kräfte. Zwischen Kirche, Krone und Rebellion gefangen, wird Lore zur Schachfigur in einem gefährlichen Spiel, dessen Regeln sie kaum kennt – und das sie doch schon bald selbst mitgestaltet. Hannah Whitten gelingt mit ihr ein bemerkenswerter Balanceakt: Lore ist keine klassische Heldin, aber auch keine tragische Antiheldin. Vielmehr ist sie ein Produkt ihrer Vergangenheit – gezeichnet von Verlust, Überlebensdrang und einer tiefen inneren Zerrissenheit. Ihr moralischer Kompass ist nicht defekt, sondern flexibel – sie wägt ab, zweifelt, kämpft mit Schuld und mit ihrer Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Diese Ambivalenz macht sie nicht nur glaubwürdig, sondern ungemein spannend.
Besonders eindrucksvoll ist die subtile, fast schleichende Entwicklung, die Lore innerhalb des komplexen Machtgefüges durchläuft. Sie stolpert nicht blind durch die Handlung, sondern tastet sich Schritt für Schritt voran – und mit jeder Entscheidung, jedem Verrat, jedem Opfer wächst nicht nur ihre Rolle im größeren Gefüge, sondern auch ihre eigene Wahrnehmung der Welt und ihrer selbst. Jeder Schritt, den sie macht, trägt Gewicht. Und gerade weil ihre Macht beängstigend, unkontrollierbar – vielleicht sogar verdorben – scheint, bleibt ihre Geschichte bis zur letzten Seite fesselnd.

Das Worldbuilding in „The Foxglove King“ verdient besondere Beachtung – nicht nur wegen seiner Detailtiefe, sondern vor allem wegen der düsteren Originalität, mit der Hannah Whitten ihre Welt formt. In ihrem Reich durchzieht eine uralte, tödliche Macht die Gesellschaft wie ein unsichtbares Nervensystem: Mortem – eine Form von Nekromantie, die nicht nur Angst einflößt, sondern gleichzeitig zum Fundament politischer und spiritueller Macht geworden ist. Diese Todesmagie fließt buchstäblich durch die Adern einzelner Menschen, verbindet das Körperliche mit dem Jenseitigen – und schafft ein Gleichgewicht, das jederzeit in den Abgrund kippen könnte. Besonders ungewöhnlich ist die Rolle der Kirche in diesem Gefüge: Keine heilige Institution der Nächstenliebe, sondern ein Akteur, der mit dieser finsteren Energie operiert, sie kontrolliert – und sie für sich nutzt. Diese Vorstellung verleiht dem Setting eine bedrückende Komplexität, in der religiöser Fanatismus, politische Ränkespiele und metaphysische Macht miteinander verflochten sind. Es entsteht ein Panorama, das ebenso begeisternd wie beklemmend ist. Whitten behandelt den Tod nicht als endgültiges Ende, sondern als Quelle – eine Energie, die nutzbar gemacht, instrumentalisiert, ja fast industriell verwertet wird. Diese Sichtweise erschüttert, provoziert – und ist zugleich ein brillanter erzählerischer Kniff, der die Lektüre immer wieder ins Stocken bringt. Hier wird nicht mit Hoffnung oder Licht gearbeitet, nicht mit Prophezeiungen oder Erlösung – hier regieren Schatten, Geheimnisse und das stille, kalte Beben des Unausweichlichen. Und genau das macht diese Welt so einzigartig, so mitreißend, so unvergesslich.

Ein weiterer spannender Aspekt des Worldbuildings liegt in der mythologischen Grundlage der Geschichte, die das gesamte Machtgefüge und das Verständnis von Leben und Tod prägt. Im Zentrum stehen zwei Gottheiten: Apollius, der Gott des Lebens, der Ordnung, Licht und Struktur symbolisiert – und Nyxara, Göttin des Todes, der Dunkelheit und des Übergangs. Doch was zunächst nach einer klassischen Dichotomie klingt, entwickelt sich in Whittens Darstellung zu etwas weitaus Komplexerem. Nyxara ist kein reines Schreckensbild, kein blinder Zerstörer. Vielmehr verkörpert sie den Kreislauf des Seins, die Notwendigkeit des Endes, damit Neues entstehen kann. Ihre Macht – das Mortem – ist keine bloße Waffe, sondern ein existenzielles Prinzip, das tief in den Fluss der Welt eingewoben ist. Apollius hingegen steht nicht nur für das Leben, sondern auch für Kontrolle, für das Streben nach Struktur um jeden Preis. Es sind diese Spannungen zwischen den beiden – Leben und Tod, Licht und Schatten, Kontrolle und Chaos – die das Fundament für alle Konflikte in „The Foxglove King“ bildet. Whitten nutzt diese Götter nicht nur als Hintergrund, sondern verankert sie spürbar im Denken, Fühlen und Handeln ihrer Figuren. Sie sind Legende und Realität zugleich – spirituelle Machtquellen und politische Werkzeuge, je nachdem, wer sie zu deuten versucht. Diese mythologische Tiefe verleiht der Welt nicht nur Gravitas, sondern auch einen Hauch von uralter Tragik, der wie ein Echo durch die Seiten hallt.

Obwohl „The Foxglove King“ nicht nur in der düsteren High Fantasy, sondern auch im Romantasy-Genre verortet ist, tritt die Liebesgeschichte in diesem ersten Band angenehm in den Hintergrund. Entsprechend wäre es ein Fehler, die Geschichte auf die Romanze zu reduzieren. Denn Hannah Whitten verfolgt einen Ansatz, der sich angenehm von gängigen Tropes abhebt: Die Liebesgeschichte ist zwar präsent, schwebt wie ein leiser Schatten über der Handlung, doch sie drängt sich nie in den Vordergrund. Stattdessen ist sie ein langsames Glimmen, ein unausgesprochener Sog, der mehr durch Gesten, Blicke und unausgesprochene Gedanken wirkt als durch große Worte oder dramatische Gesten. Whitten setzt auf einen Slow Burn, wie man ihn sich nur wünschen kann: glaubwürdig, emotional aufgeladen und zugleich von Zurückhaltung geprägt. Die romantischen Spannungen entwickeln sich mit Bedacht, beinahe zögerlich – was umso mehr zu Lore passt, deren inneres Chaos und äußere Verpflichtungen kaum Raum für klare Gefühle lassen. Und doch ist da etwas – eine leise, ungreifbare Verbindung, die sich durch die Seiten zieht. Hinzu kommt die vielschichtige Love-Triangle-Konstellation, die erstaunlich feinfühlig und unaufdringlich inszeniert ist. Es gibt keine plakativen Eifersuchtsdramen, keine überzeichneten Rivalitäten, sondern ein komplexes Wechselspiel aus Loyalität, Misstrauen, Anziehung und innerer Zerrissenheit. Die Dynamiken zwischen Lore, dem charismatischen, aber undurchsichtigen Gabriel, und dem ebenso faszinierenden wie gefährlichen Bastian wirken durchdacht, lebendig – und voller Potenzial für die kommenden Bände. Diese entschleunigte Herangehensweise macht die Liebesgeschichte nicht nur besonders authentisch, sondern ermöglicht es ihr auch, sich nahtlos in die größere Erzählung einzufügen, ohne sie zu dominieren. Ein leiser Funke, der lange braucht, um sich zu entfachen – aber das Versprechen eines Feuers in sich trägt, das alles verändern könnte.

„The Foxglove King – Ein Hauch von Tod“ ist alles andere als ein leichter Einstieg in eine neue Fantasyreihe – und gerade deshalb so überzeugend. Die komplexe Welt, die moralisch ambivalente Heldin, die ungewöhnliche Magie und die subtil angelegte Romanze machen diesen Auftakt zu einem herausragenden Leseerlebnis. Wer Hannah Whittens Wilderwood-Dilogie mochte, wird auch hier wieder voll auf seine Kosten kommen – und gleichzeitig überrascht sein, wie viel härter, ernster und reifer diese neue Geschichte daherkommt. Es ist kein Buch, das sich schnell oder leicht liest. Aber es ist eines, das lange nachhallt.

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