Young-do Lee: Die Legende vom Tränenvogel – Das Blut der Herzlosen [Rezension]

Cover © Heyne

Buchinformationen

TitelDie Legende vom Tränenvogel – Das Blut der Herzlosen
Band1 von 4
AutorYoung-do Lee
VerlagHeyne
ÜbersetzungManfred Selzer, Hyuk-Sook Kim
ISBN978-3-453-27441-9
Seitenzahl560
GenreHigh Fantasy
Bewertung3 von 5 Sterne

Klappentext

In einem einsamen Gasthaus am Rand der Punten-Wüste treffen drei Gestalten aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Der Lekon Tinahan ist ein mächtiger Krieger mit dem Kopf eines Hahns. Bihyung ist ein Dokebi, ein Feuerwesen, immer zu Scherzen aufgelegt. Und Kaygon Draka ist ein Mensch, der das legendäre Schwert eines Königs trägt und ein düsteres Geheimnis verbirgt. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg ins Reich der Nagas, schuppigen Gedankenlesern, die verborgen im Dschungel von Kiboren leben und sich die Herzen herausschneiden, um unsterblich zu werden. Sie folgen dem Ruf einer uralten Prophezeiung – doch kann ein Wesen ohne Herz wirklich der Retter der Welt sein?

Meine Meinung

Manchmal begegnet man einem Buch, das eine enorme Vorstellungskraft verlangt – und ebenso viel Geduld. „Die Legende vom Tränenvogel“ von Young-do Lee ist genau so ein Werk. Es ist ein monumentales Fantasy-Epos aus Südkorea, das vieles anders macht als westliche Genrevertreter. Statt rasanter Wendungen und zugänglicher Helden erwartet die Lesenden eine fremdartige, komplexe Welt – reich an kulturellen Nuancen, aber auch voll sprachlicher Hürden. Was als große Reise beginnt, wird für viele eher zu einem mühsamen Marsch.

Beginnen wir mit dem Positiven: Das Worldbuilding in „Die Legende vom Tränenvogel“ ist ohne Frage beeindruckend – ja, fast überwältigend. Young-do Lee entwirft eine Welt, die sich nicht wie ein bloßer Schauplatz anfühlt, sondern wie ein eigenständiger Organismus: lebendig, vielschichtig, historisch gewachsen. Jede Kultur hat ihre eigenen Bräuche, Sprachen, Götter und Rituale. Die Geografie ist ebenso differenziert wie die politischen Machtgefüge, die sich in vielschichtigen Beziehungen, Spannungen und Traditionen spiegeln. Ganze Völker mit eigenen Mythen und Weltbildern tummeln sich in diesem Kosmos – kein Element wirkt beliebig oder generisch. Man spürt auf jeder Seite, mit welcher Sorgfalt und welchem intellektuellen Ehrgeiz Lee seine Welt gebaut hat. Wer sich für fantastische Universen begeistern kann, für sprachliche Eigenheiten, religiöse Systeme oder komplexe Gesellschaftsordnungen, findet hier eine Goldgrube an Ideen und Tiefe. Doch so faszinierend diese Welt auch ist – der Zugang zu ihr ist steinig. Denn all die Detailverliebtheit kommt ohne Erklärpausen oder Einführung daher. Der Leser wird hineingeworfen, ohne Karte, ohne Kompass. Und so bleibt das theoretische Staunen oft auf der Strecke – verdrängt von der praktischen Mühsal, überhaupt Fuß zu fassen.

Praktisch gestaltet sich der Einstieg allerdings enorm schwierig. Die Vielzahl an Begriffen, Namen, Orten und Konzepten prasselt bereits auf den ersten Seiten auf die Lesenden ein – ohne Einführung, ohne Erklärung, ohne Erbarmen. Statt sie nach und nach einzuführen, setzt der Text oft voraus, dass man sie schlichtweg kennt. Zwar ist am Ende des Buches ein umfassendes Glossar zu finden, doch dieses dient weniger als hilfreiches Nachschlagewerk, sondern vielmehr als ständiger Begleiter. Ohne es lässt sich der Text kaum verstehen. Man blättert ständig zurück, liest quer, verliert den Faden und fragt sich wiederholt: „Habe ich das gerade überlesen oder wurde es einfach nicht erklärt?“ – Eine gewisse Frustration bleibt leider dauerhaft erhalten. Was eigentlich die Immersion fördern soll, führt so zu wiederholten Lesestopps, zu Frust und Ermüdung. Ein erzählerisches Universum, das so viele Erklärungen benötigt, sollte sie besser in die Geschichte integrieren – oder zumindest in kleineren Dosen präsentieren.

Ein weiteres Problem: Das Buch ist nicht in Kapitel unterteilt. Statt kleinerer, strukturierender Abschnitte, die dem Lesefluss guttun würden, gibt es einen nahezu durchgängigen Textblock, der sich über hunderte Seiten zieht. Diese Form der Erzählung trägt maßgeblich dazu bei, dass sich das Buch über weite Strecken schlichtweg zäh liest. Orientierungspunkte fehlen, das Gefühl von Fortschritt stellt sich kaum ein. Gerade bei einer komplexen Welt und einer dichten Erzählweise wären kurze Atempausen wohltuend gewesen – zum Innehalten, Sortieren, Wiederanknüpfen. Stattdessen wird man als Leser durch ein kontinuierliches Narrativ geschoben, das selten Raum zur Orientierung bietet. Wer zwischendurch aussteigt, findet später kaum zurück.

Ein weiteres Hindernis für die emotionale Verbindung zur Geschichte sind die Charaktere selbst. Obwohl sie sich durch verschiedene Milieus und Regionen bewegen, bleiben sie den Lesenden seltsam fern. Ihre Gedankenwelt erschließt sich selten, ihre Motivationen wirken diffus, ihre Entwicklungen sind kaum nachvollziehbar. Man begegnet ihnen wie Figuren aus alten Sagen – ehrfurchtsvoll, aber ohne Nähe. Es fehlt an Intimität, an greifbarer Menschlichkeit. Selbst in Momenten, die eigentlich dramatisch oder bewegend sein könnten, bleibt eine emotionale Leerstelle zurück. Man beobachtet das Geschehen eher wie durch eine dicke Glasscheibe: mit Interesse, aber ohne Anteilnahme. Gerade in der Fantasy lebt vieles von der Verbindung zu den Figuren – von dem Mitfiebern, dem Mitleiden, dem persönlichen Drama inmitten der großen Welt. Hier aber bleibt das Persönliche oft zugunsten des Kulturellen, Weltlichen, Abstrakten auf der Strecke.

Handlungsseitig bleibt „Die Legende vom Tränenvogel“ leider hinter dem Weltaufbau zurück. Zwar existiert ein erzählerischer Rahmen, doch dieser wird häufig von langen, teils belanglosen Passagen überlagert, die wenig bis gar nichts zur eigentlichen Handlung beitragen. Diskussionen über politische Konventionen, ausgedehnte Beschreibungen von Ritualen oder Anekdoten aus der fiktiven Geschichte der Welt füllen viele Seiten – und lassen dabei zentrale Entwicklungen nur langsam, fast träge voranschreiten. Spannung baut sich kaum auf, Konflikte verlaufen oft im Sand oder werden durch langatmige Erläuterungen entschärft, bevor sie überhaupt eskalieren könnten. Es fühlt sich manchmal so an, als wolle das Buch mehr berichten als erzählen – mehr lehren als erleben lassen. All das mag für das Verständnis der Welt nützlich sein, trägt aber selten aktiv zur Entwicklung der Handlung bei. Vieles wirkt wie Füllmaterial, das dem Buch epischen Umfang verleihen soll, ohne diesen wirklich mit Leben zu füllen.

Wer auf rasante Wendungen, dramatische Konflikte oder charakterliche Entwicklungen hofft, wird hier enttäuscht. Das Buch fühlt sich eher wie ein Beobachten als ein Erleben an – als würde man durch ein Museum voller beschrifteter Exponate wandern, ohne dass einen etwas wirklich berührt.

„Die Legende vom Tränenvogel“ ist ein Werk, das seine Lesenden herausfordert – manchmal zu sehr. Es bietet eine originelle, fremdartige Welt voller Tiefe und kultureller Komplexität, die in ihrer Ausarbeitung beeindruckt. Doch all diese Stärken stehen auf wackligem erzählerischen Fundament: Die Handlung bleibt schwach, die Charaktere distanziert, die Form sperrig, die Sprache herausfordernd. Doch der Preis dafür ist hoch: Geduld, Durchhaltevermögen und eine gehörige Portion Frusttoleranz. Es ist ein Buch, das respektvolle Anerkennung verdient – aber ebenso ehrliche Kritik. Für viele Leser dürfte es zu viel des Guten sein.

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