
Buchinformationen
| Titel | Im Schatten des Schwertes |
| Band | 2 von 3 |
| Autor | Julie Kagawa |
| Verlag | Heyne |
| Übersetzung | Beate Brammertz |
| ISBN | 978-3-4532-7206-4 |
| Seitenzahl | 496 |
| Genre | Historische Fantasy, Romantasy |
| Bewertung | 4,5 von 5 Sterne |
Klappentext
Das Fuchsmädchen Yumeko hat eine gefährliche Mission: Sie muss eine hochgeheime Pergamentrolle in Sicherheit bringen. Gerät das Schriftstück in die falschen Hände, könnte ein einziger böser Wunsch das ganze Reich für immer in die Finsternis stürzen. In dem wortkargen Samurai Tatsumi hat sie einen starken Begleiter gefunden, der ihr Freund und Vertrauter wurde – und sogar ein wenig mehr. Doch Yumeko hat auch einen unberechenbaren Feind: den Dämon Hakaimono, der Jahrhunderte lang in das Samuraischwert Tatsumis gebannt war. Jetzt ist Hakaimono frei und hat sich Tatsumis Körpers und Geistes bemächtigt. Der Dämon setzt alles daran, Yumeko die Rolle zu entreißen. Wenn sie ihr Ziel erreichen will, darf sie vor nichts zurückschrecken. Selbst dann, wenn Tatsumi dabei umkommen sollte …
Meine Meinung
Mit „Im Schatten des Schwertes“ führt Julie Kagawa ihre Leser tiefer in eine Welt, die von alten Legenden, mächtigen Dämonen und gefährlichen Wünschen durchdrungen ist. Nach dem vielgelobten Auftakt „Im Schatten des Fuchses“ folgt nun ein Mittelband, der sich nicht mit Lückenfüller-Status zufriedengibt – sondern emotional und erzählerisch sogar noch eine Schippe drauflegt.
Yumeko, halb Mensch, halb Kitsune, setzt ihre gefährliche Mission fort: das Fragment der Drachenschriftrolle sicher zum Tempel zu bringen, bevor es in die falschen Hände fällt. Mit jedem Schritt auf ihrer Reise wird klarer, wie viel auf dem Spiel steht – denn das uralte Pergament hat die Macht, den Himmelsdrachen zu beschwören und einen Wunsch von unermesslicher Tragweite zu erfüllen. Doch der Preis dieser Reise ist hoch. Ihr Begleiter Tatsumi – einst ein Krieger der Kage, diszipliniert und tödlich – ist nun unter Kontrolle des Dämons Hakaimono, den sein Schwert Kamigoroshi beherbergte. Yumeko glaubt, dass der echte Tatsumi noch irgendwo in ihm existiert. Doch die Realität ist düster: Hakaimono will nichts anderes als Rache und Zerstörung.
Während Yumeko und ihre Gefährten weiterziehen – darunter der fluchende Ronin Okame, der edle Daisuke und die Schreinmaid Reika – entspinnt sich ein Wettlauf gegen die Zeit. Parallel dazu folgt der Leser Hakaimono, der in Tatsumis Körper seinen eigenen finsteren Plan verfolgt: das Bündnis mit einem der mächtigsten Blutmagier, um selbst nach der Schriftrolle zu greifen.
Kagawa gelingt es im zweiten Band meisterhaft, die oberflächliche Schwarz-Weiß-Malerei vieler klassischer Fantasygeschichten hinter sich zu lassen und sich vielschichtig mit den Themen Selbstbeherrschung, Dualität und Vertrauen auseinanderzusetzen. Dabei geht es nicht nur um äußere Konflikte – Schwerter, Magie und Monster –, sondern vor allem um das, was sich im Innersten der Figuren abspielt: der stille, oft quälende Kampf zwischen Licht und Dunkel, zwischen Pflicht und Verlangen, zwischen dem, was man ist, und dem, was man sein möchte. Besonders eindrucksvoll ist dabei die Perspektive von Hakaimono, dem uralten Dämon, der sich in den Körper des Kriegers Tatsumi eingenistet hat. Kagawa gewährt dem Leser keinen distanzierten Blick auf das „Böse“ – sie lässt uns in seinen Geist eintauchen, zwingt uns, die Welt durch seine Augen zu sehen. Was wir dort finden, ist überraschend: keine eindimensionale Kreatur der Zerstörung, sondern ein Wesen, das Wut, Stolz, Schmerz und sogar eine Form von Ehre in sich trägt.
Hakaimonos Gedankenwelt ist ein Sturm aus Verachtung und Macht, aber auch aus Erinnerung und verlorener Größe. Sein Hass ist alt, aber nicht ohne Ursprung. Seine Entscheidungen wirken grausam, doch sie folgen einem inneren Kodex – einer verdrehten, aber nachvollziehbaren Logik, die sich aus Jahrhunderten der Gefangenschaft speist. Das macht ihn nicht gut. Aber es macht ihn menschlich – oder zumindest tragisch. Und genau darin liegt die große Stärke dieses Charakters: Er fordert Empathie heraus, wo wir Abscheu erwarten. Er bringt uns zum Nachdenken über die Grenzen von Gut und Böse, über den Preis von Freiheit und darüber, ob jemand, der als Monster geboren wurde, dazu verdammt ist, ewig eines zu bleiben.
Die Frage „Wer bin ich wirklich?“ durchzieht diesen zweiten Band wie ein feines, kaum sichtbares, aber unzerreißbares Band – sie ist das leise Echo, das in den Gedanken der Figuren nachhallt, während sie durch Tempelruinen, Schattenreiche und innere Abgründe wandern. Fast jede Hauptfigur sieht sich gezwungen, die Maske zu lüften, die sie bislang getragen hat – ob freiwillig oder durch äußere Umstände. Allen voran Yumeko, deren kitsunehafte Herkunft bisher etwas war, das sie lieber verborgen hielt – aus Angst, aus Vorsicht, vielleicht auch aus Scham. Doch im Verlauf der Geschichte beginnt sie, diese Seite nicht mehr nur zu akzeptieren, sondern als Teil ihrer Identität anzuerkennen. Was einst Spielerei oder Täuschung war, wird nun zur Waffe, zum Werkzeug – aber auch zum Ausdruck innerer Reife. Yumeko wächst, weil sie aufhört, zwischen „Füchsin“ und „Mensch“ zu unterscheiden, und beginnt, beides zu sein.
Yumeko wird in diesem Band deutlich reifer. Ihre naive Neugier weicht einem stärkeren Verantwortungsbewusstsein – aber sie verliert nie ihren Humor oder ihre Herzlichkeit. Ihre kitsunetypische Art, mit Charme und kleinen Tricks das Gleichgewicht zu halten, wird hier nicht nur als lustig, sondern als Stärke inszeniert.
Wer auf der Suche nach Mythologie, taktischen Duellen und zauberhafter Magie ist, wird in „Im Schatten des Schwertes“ reich belohnt. Julie Kagawa versteht es meisterhaft, Kampfszenen so zu inszenieren, dass sie nicht nur als bloßes Spektakel dienen, sondern den Herzschlag der Geschichte tragen. Ihre Kämpfe sind kunstvoll, dramatisch und oft atemberaubend choreografiert – aber sie sind nie leer. Sie haben Gewicht. Und sie haben eine Seele. Denn anders als noch im ersten Band geht es in diesen Auseinandersetzungen nicht allein um Sieg oder Niederlage, nicht bloß um das Überleben im Angesicht übermächtiger Feinde. Die wahre Schlacht wird in den Herzen der Figuren geschlagen. Jeder Schlag, jede Entscheidung im Gefecht trägt eine emotionale Last. Es sind Kämpfe gegen äußere Gegner – aber oft auch gegen die eigenen Zweifel, gegen Schuld, Angst oder Verzweiflung.
Ein Duell kann hier gleichzeitig ein innerer Zusammenbruch sein, ein Akt der Selbstbehauptung oder ein verzweifelter Versuch, jemanden zu retten, den man fast verloren hat. Es geht darum, sich selbst treu zu bleiben – oder überhaupt erst herauszufinden, wer man im Angesicht der Dunkelheit ist. So werden die Kämpfe in „Im Schatten des Schwertes“ nicht nur zu Höhepunkten der Handlung, sondern zu Prüfsteinen der Charaktere – und zu Spiegeln der Konflikte, die in ihnen toben. Man gewinnt hier nicht bloß mit der Klinge – sondern mit dem Herzen.
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