Neal Shusterman: Game Changer [Rezension]

Buchinformationen

TitelGame Changer – Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, alles falsch zu machen
BandEinzelband
AutorNeal Shusterman
VerlagFischer Sauerländer
ÜbersetzungKristian Lutze, Pauline Kurbasik, Andreas Helweg
ISBN978-3-7373-5884-2
Seitenzahl416
GenreScience-Fiction
Bewertung3,5 von 5 Sterne

Klappentext

Im Blitzlicht eines Footballspiels wird Ash in parallele Dimensionen katapultiert. Er verfügt auf einmal über die Macht, die Welt zu verändern. Und genau das tut er auch. Mit jeder Entscheidung verschieben sich die Regeln der Realität, er testet die Grenzen von Gut und Böse und stellt unsere aktuellen Werte und Normen auf den Kopf. Ausversehen führt er die Rassentrennung wieder ein, und das Schrecken nimmt seinen Lauf.

Meine Meinung

Was wäre, wenn sich die Realität verändern würde – nicht auf spektakuläre Weise wie in einem Science-Fiction-Blockbuster, sondern subtil, fast unbemerkt? Was, wenn du es plötzlich mit einer anderen Welt zu tun hättest, in der kleine Ungerechtigkeiten zu großen gesellschaftlichen Problemen anwachsen? In seinem provokanten Jugendroman „Game Changer“ lädt uns der US-amerikanische Autor Neal Shusterman zu genau dieser Reise ein – in eine Welt, die unserer ähnlich ist, aber in entscheidenden Details erschreckend anders.

Der Protagonist Ash, ein typisch amerikanischer Highschool-Footballspieler, lebt ein eher gewöhnliches Leben – bis er bei einem Spiel einen besonders harten Tackle erlebt. Nach dem Zusammenprall merkt er, dass sich etwas verändert hat. Es beginnt mit Kleinigkeiten: Die Farbe der Stoppschilder ist plötzlich blau statt rot. Doch schnell wird klar – Ash ist in einer alternativen Realität gelandet. Mit jeder weiteren Kollision auf dem Spielfeld rutscht er in eine neue Version seiner Welt. Manche Änderungen sind harmlos, andere jedoch offenbaren tiefgreifende gesellschaftliche Ungleichheiten: In einer Realität ist Rassismus offen institutionalisiert, in einer anderen ist Homosexualität illegal. Ash wird so gezwungen, sich mit Themen auseinanderzusetzen, die er bislang ignorieren konnte.

„Game Changer“ ist weit mehr als ein Science-Fiction-Roman – es ist ein intensives Gedankenexperiment über Privilegien, Ungleichheit und soziale Verantwortung. Neal Shusterman greift dabei zentrale gesellschaftliche Themen auf, darunter Rassismus, Homophobie, Gendergerechtigkeit, soziale Ungleichheit und Machtstrukturen. Er lässt den Leser all das aus der Perspektive eines weißen, privilegierten Jugendlichen erleben, der Schritt für Schritt begreift, wie tief verwurzelt und ungerecht eine Welt sein kann, die er bislang nie hinterfragt hat. Besonders spannend: Ash’ moralisches Dilemma. Sollte er versuchen, die Realitäten wieder „geradezurücken“ – auch wenn das bedeutet, dass andere Menschen ihr neues, besseres Leben verlieren? Es ist eine Auseinandersetzung mit Schuld, Verantwortung und der Frage, wie viel ein Einzelner verändern kann – oder sollte.

Shusterman gelingt es, die Geschichte trotz der ernsten Themen packend und zugänglich zu erzählen. Der Stil ist flüssig, jugendgerecht, aber nicht banal. Die alternativen Realitäten wirken nie konstruiert, sondern immer als Spiegel unserer tatsächlichen Gesellschaft. Dabei bedient sich Shusterman eines intelligenten Mittels: Jede Verschiebung in Ash’ Welt ist nicht nur ein Handlungselement, sondern eine Metapher für gesellschaftliche Blindflecken.

So beeindruckend und ambitioniert das Konzept von „Game Changer“ ist, bleibt der Roman nicht ohne Schwächen. Der Umgang mit den komplexen gesellschaftlichen Themen wirkt stellenweise zu didaktisch und oberflächlich. Die verschiedenen Formen von Diskriminierung – ob Rassismus, Homophobie oder soziale Ungleichheit – werden zwar sichtbar gemacht, doch oft nur in vereinfachter Form angerissen, ohne dass ihre tieferliegenden Strukturen umfassend beleuchtet werden.

Ein zentrales Spannungsfeld entsteht durch die Wahl des Protagonisten: Ash, ein weißer, heterosexueller Junge, bewegt sich als Beobachter durch alternative Realitäten, in denen er kurzzeitig mit Ungerechtigkeiten konfrontiert wird. Seine Erfahrungen bleiben jedoch temporär und distanziert – er durchlebt sie nicht als jemand, der dauerhaft betroffen ist, sondern als jemand, der immer wieder in seine privilegierte Ausgangsposition zurückkehrt. Dadurch entsteht eine gewisse emotionale Distanz, und die Perspektiven derjenigen, die tatsächlich von Diskriminierung betroffen sind, rücken in den Hintergrund. Gerade das kann jedoch auch als erzählerisches Stilmittel verstanden werden: „Game Changer“ spricht ein Publikum an, das selbst Teil privilegierter Strukturen ist, und fordert es auf, über den eigenen gesellschaftlichen Standort nachzudenken. Der Roman bietet einen niederschwelligen Zugang zu wichtigen Fragen nach Gerechtigkeit, Verantwortung und Empathie – nicht als abschließende Analyse, sondern als Einladung zum Hinsehen, Hinterfragen und Weiterdenken.

„Game Changer“ ist ein mutiger, kluger und relevanter Roman, der seinen Lesern eine unbequeme, aber notwendige Frage stellt: Was würdest du tun, wenn du die Macht hättest, Dinge zu verändern – aber auf Kosten anderer Menschen?

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