Jay Kristoff: Nevernight – Die Prüfung [Rezension]

Buchinformationen

TitelNevernight – Die Prüfung
Band1 von 3
AutorJay Kristoff
VerlagFischer TOR
ÜbersetzungKirsten Borchardt
ISBN978-3-596-29758-0
Seitenzahl704
GenreDark Fantasy, High Fantasy
Bewertung4 von 5 Sterne

Klappentext

In einer Welt mit drei Sonnen,
in einer Stadt, gebaut auf dem Grab eines toten Gottes,
sinnt eine junge Frau, die mit den Schatten sprechen kann, auf Rache.
Mia Corvere kennt nur ein Ziel: Rache. Als sie noch ein kleines Mädchen war, haben einige mächtige Männer des Reiches – Francesco Duomo, Justicus Remus, Julius Scaeva – ihren Vater als Verräter an der Itreyanischen Republik hinrichten und ihre Mutter einkerkern lassen. Mia selbst entkam den Häschern nur knapp und wurde unter fremdem Namen vom alten Mercurio großgezogen, einem Antiquitätenhändler. Mercurio ist jedoch kein gewöhnlicher Bürger der Republik, er bildet Attentäter für einen Assassinenorden aus, die »Rote Kirche«. Und Mia ist auch kein gewöhnliches Kind, sie ist eine Dunkelinn: Seit der Nacht, in der ihre Familie zerstört wurde, wird sie von einer Katze begleitet, die in ihrem Schatten lebt und sich von ihren Ängsten nährt. Mercurio bringt Mia vieles bei, doch um ihre Ausbildung abzuschließen, muss sie sich auf den Weg zur geheimen Enklave der »Roten Kirche« machen, wo sie eine gefährliche Prüfung erwartet …

Meine Meinung

Jay Kristoffs Roman „Nevernight – Die Prüfung“ ist der erste Band der Nevernight-Trilogie und ein Auftakt mit Höhen und Tiefen, der sich zu einer düsteren und komplexen Fantasy-Geschichte entwickelt. Die Geschichte folgt Mia Corvere, einer jungen Frau, die Zeugin der Hinrichtung ihres Vaters wurde und daraufhin schwor, sich an den Mördern ihrer Familie zu rächen. Um dieses Ziel zu erreichen, begibt sie sich auf den gefährlichen Weg zur Ausbildung als Assassinin in der geheimnisvollen Roten Kirche, einer Schule für Mörder, die ihre Schüler auf gnadenlose Weise testet. Dort muss sie sich nicht nur gegen ihre Mitbewerber behaupten, sondern auch die tödlichen Prüfungen der Kirche überleben.

Während Mia sich den Herausforderungen stellt, entdeckt sie immer mehr über ihre eigenen Fähigkeiten. Sie besitzt die Gabe der Dunkelheit, eine seltene magische Kraft, die es ihr erlaubt, Schatten zu manipulieren und mit ihrem „Nicht-Kater“ Herrn Freundlich zu kommunizieren. Doch nicht jeder in der Roten Kirche ist ihr wohlgesinnt, und bald erkennt Mia, dass ihre Reise gefährlicher ist, als sie jemals dachte.

Der Einstieg in „Nevernight – Die Prüfung“ gestaltet sich als durchaus herausfordernd. Der Erzählstil ist anspruchsvoll, und es fällt nicht leicht, sich in die Geschichte einzufinden – nicht zuletzt, weil der Leser mit zahlreichen Fußnoten konfrontiert wird, die Hintergrundinformationen zur Welt liefern sollen. Diese Anmerkungen sind zwar oft humorvoll und detailreich, doch ihre Häufigkeit und Platzierung unterbrechen den Lesefluss erheblich. Erst nach mehr als 200 Seiten nimmt die Handlung spürbar an Fahrt auf, und ab diesem Punkt treten die erklärenden Fußnoten auch seltener auf. Wünschenswert wäre es gewesen, diese Informationen stattdessen in einem separaten Glossar unterzubringen. So hätten interessierte Leser jederzeit darauf zugreifen können, ohne dass die ständigen Unterbrechungen den Erzählrhythmus stören. Wer sich auf die Anmerkungen einlässt, wird immer wieder aus der eigentlichen Geschichte herausgerissen, was den Einstieg in Mias düstere Welt unnötig erschwert.

Die Welt, in der „Nevernight“ spielt, ist eine Mischung aus Renaissance-Italien und düsterer High Fantasy. Kristoff erschafft mit Itreya eine komplexe Gesellschaft, geprägt von Machtkämpfen, Korruption und Gier. Besonders beeindruckend ist die detailreiche Weltgestaltung: Von den politischen Intrigen der Republik bis hin zu den Prüfungen der Roten Kirche – jede Szene ist mit einer Präzision beschrieben, die den Leser tief in die Geschichte eintauchen lässt. Ein weiteres Highlight ist das ungewöhnliche Setting der drei Sonnen, die niemals vollständig untergehen. Diese konstante Helligkeit bildet einen interessanten Kontrast zur düsteren Handlung und symbolisiert, wie wenig Licht es in den Herzen vieler Figuren gibt.

Mia ist eine der stärksten und zugleich komplexesten Heldinnen der modernen Fantasy-Literatur. Sie ist mutig, klug und tödlich, aber auch verletzlich. Ihre Motivation ist tief in persönlichem Schmerz verwurzelt, was sie umso menschlicher macht. Jay Kristoff gelingt es, eine Figur zu schaffen, die trotz ihrer moralischen Grauzone Sympathie und Bewunderung hervorruft. Sie muss sich immer wieder fragen, ob sie bereit ist, alles für ihre Rache zu opfern – selbst ihre Menschlichkeit. Besonders faszinierend ist Mias Fähigkeit, mit den Schatten zu kommunizieren – eine Macht, die sie nicht vollständig versteht, die aber eine entscheidende Rolle in ihrer Entwicklung spielt. Ihr Begleiter, ein schattenhaftes Katzenwesen namens Herr Freundlich bietet zudem einen Hauch von schwarzem Humor und Mystik.

Kristoffs Schreibstil ist eine fesselnde Symbiose aus poetischer Eleganz und schonungsloser Brutalität, die die düstere Stimmung der Geschichte meisterhaft einfängt. Seine Beschreibungen sind eindringlich und detailreich, sodass jede Szene mit lebendiger Intensität vor den Augen des Lesers entsteht. Die Dialoge sind scharfzüngig, oft mit einer Prise bissigen Humors gewürzt, der die düstere Grundstimmung gekonnt auflockert. Gerade diese raffinierte Balance zwischen finsterer Dramatik und sarkastischer Leichtigkeit verleiht dem Roman eine ganz eigene, unverwechselbare Atmosphäre, die sowohl verstört als auch begeistert.

Der Roman verwebt tiefgehende Themen wie Rache, Macht, Identität und Moral zu einer komplexen Erzählung, die weit über eine klassische Rachegeschichte hinausgeht. Mit jeder Entscheidung, die Mia trifft, stellt sich die Frage, wo die Grenze zwischen Gerechtigkeit und blinder Vergeltung verläuft. Ist das Streben nach Rache tatsächlich eine Form der Gerechtigkeit – oder nur ein zerstörerischer Kreislauf, der immer mehr Opfer fordert?

Ebenso wirft der Roman grundlegende moralische Fragen auf: Wie viel von sich selbst ist man bereit zu opfern, um seine Ziele zu erreichen? Kann der Wunsch nach Vergeltung einen Menschen vollständig verschlingen, bis nichts mehr von der Person übrig bleibt, die er einst war? Diese tiefgründigen Überlegungen durchziehen die Handlung und verleihen ihr eine philosophische Dimension, die den Leser weit über das letzte Kapitel hinaus zum Nachdenken anregt.

„Nevernight – Die Prüfung“ trotz des holprigen Anfangs ein epischer und gnadenloser Auftakt zu einer einzigartigen Fantasy-Trilogie. Wer Geschichten mit starken, unkonventionellen Charakteren, intensiven Kämpfen und schwarzem Humor mag, aber auch bereit ist, sich durch die ersten 200 Seiten zu quälen, wird bestimmt Gefallen an dem Fantasyroman finden.

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